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Von: Alexander Wissgott
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Motorsport ist eine teure, stellenweise eine sehr exklusive Sportart. Doch die Faszination ist gewaltig. Aber wie stellt man es an, überhaupt Motorsport, unabhängig ob auf zwei oder auf vier Rädern, betreiben zu können?
Wir haben dies am Beispiel des Rallyesports versucht, darzustellen. Man sagt, dass Rallyefahrer vielleicht die besten und komplettesten Piloten sind. Dies liegt sicher an den Bedingungen, unter denen Rallyes ausgetragen werden. Es wird bei Tag und auch in der Dunkelheit gefahren, der Untergrund wechselt von Asphalt über Schotter bis hin zu Eis und Schnee. Außerdem sind die Strecken für die Teams vor einer Veranstaltung meist unbekannt und müssen erst mal erkundet werden, um dann später im Wettbewerbstempo fahren zu können. Das alles hört sich nach einem interessanten, spannenden und extrem vielseitigen Hobby an. Doch wie funktioniert das eigentlich?
Die Rallyeveranstaltung
Bei regionalen Rallyes handelt es sich meistens um Tagesveranstaltungen. In der deutschen Meisterschaft und bis hin zur WM finden die Rallyes meist über zwei bis drei Tage statt. An einem festen Ort gibt es einen Servicepark, das Fahrerlager, von wo aus die Fahrzeuge starten. Hier schlagen die Teams auch ihre mobile Box auf, um die Autos zu checken und bei Bedarf reparieren zu können.
Eine Rallye besteht aus sogenannten Wertungsprüfungen (WP) und Verbindungsetappen, die von einer zur nächsten WP führen. Lediglich auf den abgesperrten WP wird im Renntempo bzw. auf Bestzeit gefahren. Sieger ist das Team, das am Ende die schnellste Zeit gefahren hat. Hierzu werden alle Zeiten der einzelnen Prüfungen addiert. Auf den Verbindungsetappen gilt auch für die Rallyeautos die Straßenverkehrsordnung – die Zeiten werden nicht gewertet. Es gibt lediglich Zeitvorgaben, in denen die Teams am Start einer Prüfung stehen müssen. Die Zeiten sind großzügig bemessen, so dass kein Team im öffentlichen Verkehr zu schnell fahren muss.
Nach einer gewissen Anzahl von WP gibt es sogenannte Servicezeiten, in denen die Mechaniker und/oder Fahrer an den Autos schrauben dürfen. Dafür kommen die Fahrzeuge in den Servicepark zurück. Sind die WP zu weit vom eigentlichen Service entfernt, können Remote-Service-Zonen eingerichtet werden. Die Zeiten sind relativ kurz und müssen streng eingehalten werden, um wieder zeitgerecht in den Wettbewerb zu starten. Ansonsten drohen Strafzeiten, die zu den WP-Zeiten dazugerechnet werden.
Wertungsprüfungen
Den Ablauf der Prüfungen und Verbindungsetappen erhalten die Teams vom Veranstalter in einem Bordbuch. Dies ersetzt Landkarten oder ein Navigationsgerät. Es enthält alle wichtigen Informationen wie Zeiten, Service, Tankstellen etc. Alle Wege, die ein Fahrer benutzen darf und soll sind aufgeführt. Die WP sind den Teams bis dahin unbekannt. Aus diesem Grunde gibt es die Möglichkeit, die Prüfungen vorher abzufahren und zu besichtigen. Dazu steht auch ein bestimmtes Zeitfenster zur Verfügung, die Anzahl der Fahrten auf der WP ist begrenzt. Auch die Geschwindigkeit ist vorgeschrieben – meist 50 bis 70 km/h.
»Aufschrieb«
Alle Informationen zur Strecke, wie Kurven, Kuppen oder Hindernisse diktiert der Fahrer seinem Co-Piloten, der daraus den »Aufschrieb« erstellt. Während der Rallye liest der Beifahrer dem Piloten aus diesem sogenannten Gebetbuch vor. So weiß der Fahrer, wie die Strecke verläuft und wie schnell er fahren kann. Um die Infos möglichst kurz zu halten – und um diese im Renntempo schnell vorlesen zu können – werden Abkürzungen benutzt. Die Einteilung der Kurven erfolgt anhand der Radien von »1« (sehr enge Kurve) bis 6« (sehr schnelle Kurve).
Zusätzlich gibt es die Distanz bis zur nächsten Kurve und natürlich die Richtung. »80 R2« »100 L5« bedeutet: In 80 Metern kommt eine enge Rechtskurve, 100 Meter später eine schnelle Linkskurve. Manche Teams notieren auch noch Details wie Bäume, Schilder oder andere markante Merkmale. In der WM gibt es noch sogenannte Schotterspione, die vor jeder WP die Strecke erneut abfahren und die Teams per Funk über Änderungen wie Eis, Nässe, Verschmutzungen usw. informieren.
Fahrzeuge
Für die Teilnahme an einer Rallye können im Prinzip alle Serienfahrzeuge eingesetzt werden. Diese müssen dann nach bestimmten Regularien für den Wettbewerb modifiziert werden. Prinzipiell müssen alle Autos die Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) erfüllen und TÜV haben. Seit 2017 hat die oberste deutsche Motorsport-Behörde (DMSB) für aufgebaute Fahrzeuge einen Kraftwagenpass (KFP) eingeführt. Dieser ersetzt bei den Autos den Kfz-Brief und ist speziell für den Motorsport ausgelegt. Dazu ist eine gesonderte Abnahme und eine Ausnahmegenehmigung nach StVZO notwendig. In höheren Rallyeklassen müssen die nur für den Rallyesport gebauten Autos homologiert werden. Das heißt, sie erhalten eine generelle Zulassung für den Wettbewerb.
Die wichtigste Modifikation an den Autos dient der Sicherheit. In allen Fahrzeugen muss eine Sicherheitszelle, der sogenannte Überrollkäfig eingebaut sein, der bei einem Unfall das Auto aussteift. Spezielle Sitze und Sechs-Punkt-Gurte sind ebenfalls vorgeschrieben. Eine Feuerlöschanlage sichert für den Fall eines Brandes. Außerdem muss bei dem Rallyefahrzeug von außen die Elektrik und der Motor ausgeschaltet werden können.
Technische Abnahme
Alle Fahrzeuge werden von Technischen Kommissaren (TK) genau unter die Lupe genommen. Neben der Regel-Konformität der Autos werden Reifen, TÜV, Lautstärke und Sicherheit überprüft. Dazuzählt auch die komplette Ausrüstung für Fahrer und Beifahrer. Unterwäsche, Helme, Fahreranzug, Schuhe und Handschuhe werden auf die generelle Zulassung durch die Motosport-Behörde und den aktuellen Zustand untersucht und geprüft. Gurtmesser sind im Fahrzeug ebenfalls vorgeschrieben. Bei den Helmen ist mittlerweile in allen Klassen ein HANS-System Pflicht. Dieses Head-and-neck-Support verbindet Helm und Fahrer. So wird die Halswirbelsäule bei einem Unfall stabilisiert.
Klassen und Gruppen
Innerhalb einer Rallye werden die Fahrzeuge in verschiedene Klassen und Gruppen eingeteilt. Dies dient dazu, die Ergebnisse vergleichbar zu machen und die unterschiedlichen Leistungen und Spezifikationen der Fahrzeuge zu berücksichtigen. Der Einstieg beginnt in der seriennahen Gruppe G. Hier werden lediglich Sicherheitsmodifikationen vorgenommen. An Karosserie und Motor bleibt alles wie in der Serie. Dies bedeutet einen relativ kostengünstigen Einstieg in den Sport. Bis zur Klasse F werden immer mehr Veränderungen zugelassen. Die speziell homologierten Rennfahrzeuge sind in die Klassen R und N eingeteilt. Oberhalb der höchsten R5-Klasse gibt es dann noch die WRC-Liga (World Rallye Car). Zusätzlich gibt es noch gesonderte Klassen für historische Fahrzeuge.
Equipment
Nachdem die wichtigsten Regeln und Begriffe erläutert wurden, könnte man eigentlich loslegen. Doch was wird benötigt, wenn man in den rasanten Sport einsteigen will?
Bekleidung: Feuerfeste Unterwäsche (Hemd, Hose, Socken, Helmhaube), Rennoverall, spezielle Fahrerschuhe, Helm mit eingebauter Gegensprechanlage, passendes HANS-System. Die komplette Ausrüstung muss grundsätzlich von der FIA homologiert sein, d. h., eine Freigabe muss erteilt sein.
Fahrzeug: Natürlich kann man sich ein Rallyeauto selbst aufbauen und für den Wettbewerb anpassen. Dies ist mit viel Aufwand, technischem Wissen und auch mit großen finanziellen Anstrengungen verbunden. Um in den Sport reinzuschnuppern, bietet sich die Möglichkeit, ein Fahrzeug zu mieten. Das Fahrzeug steht dann rennfertig zur Verfügung. Hier ist meist auch die passende Versicherung im Mietpreis enthalten.
Lizenz: Um an Rallyes teilnehmen zu können, muss man eine Lizenz erwerben. Der DMSB vergibt C-Lizenzen für den nationalen Einsatz ohne einen Qualifikationsnachweis. Für den Einsatz ab der deutschen Meisterschaft ist mindestens eine nationale A-Lizenz erforderlich. Auf internationalem Niveau gibt es gesonderte Lizenzen. Ein gültiger Führerschein ist natürlich Pflicht.
Fahrschule: Von zahlreichen Institutionen wie dem DMSB, ADAC usw. werden Lehrgänge zum Thema Rallyesport angeboten. Diese gibt es für Fahrer und Beifahrer. Bei diesen Schulungen kann man die Grundlagen des Rallyesports erlernen und am Ende die nationale A-Lizenz erwerben.
Eine Möglichkeit sich über alles zu informieren, bieten Motorsportvereine. Den Kontakt in der heimischen Region bekommt man unter anderem über die Internetauftritte der Vereine aus Biebertal, Hungen, Grünberg, Gießen, Horlofftal, Salzbödetal und Pohlheim.